Experte BvCM Österreich gewährt Einblick: So haben wir uns an Corona angepasst
Corona-Maßnahmen
Grundsätzlich prüfen wir ausnahmslos bei allen potentiellen Neukunden die Bonität, unabhängig davon, ob wir später Versicherungsschutz erhalten würden oder nicht. In unserer Credit Policy haben wir einen Grenzwert (Schwelle) definiert, bei dessen Überschreitung wir ein Neugeschäft ablehnen. In Ausnahmefällen, aber nur nach Genehmigung, darf mit einem Unternehmen, das den Schwellenwert überschreitet, zusammengearbeitet werden. Wir haben zudem unsere Ausnahmefälle reduziert und den Grenzwert während Corona angepasst.
Mit Neukunden haben wir kürzere Zahlungsziele vereinbart und teilweise mit Vorauskassa bzw. Depotzahlungen gearbeitet. Bei den Bestandskunden haben wir unser Kundenportfolio gescreent und bei Risikokunden mit einer Intensiv-Gestion operiert. Bereits bestehende Risikomerkmale wurden um coronabedingte Risikomerkmale erweitert, z. B. Identifizierung und Berücksichtigung …
- … Risikobranchen – wobei innerhalb dieser Branchen eine Differenzierung stattfindet, da Corona nicht alle Unternehmen innerhalb einer Branche ökonomisch gleich stark betrifft.
- … fehlender Unbedenklichkeitsbescheinigungen.
Beginnend mit den Kundengesprächen haben wir diese Maßnahmen eingeleitet, die im äußersten Fall in der Einstellung der Geschäftsbeziehung bei negativen Veränderungen im Rating münden können (Basis dafür sind die Ratings von Versicherung und Wirtschaftsauskunftei bzw. Zahlungsstockungen). Die Stammdaten im ERP-System werden automatisch laufend abgeglichen und aktualisiert. Ratingveränderungen sind sofort im Debitorenstamm sichtbar, unsere Kundenbetreuer werden mittels Ampelsystem zum Handeln aufgefordert. Die Technik unterstützt uns hier ungemein. Bei der Einführung unseres neuen ERP-Systems vor 2 Jahren haben wir sehr viel Wert auf die Digitalisierung der Prozesse des Finanz- und Rechnungswesens gelegt.
Aryza Score: Credit Management Management Software
Mahnintervall
Vor der Pandemie hatten wir ein 14-tägiges Mahnintervall für alle Mahnstufen. Im Durchschnitt gab es zwei Mahnläufe pro Monat und im Mahnschreiben eine Zahlungsaufforderung, innerhalb von 7 Tagen zu bezahlen. Wir haben die Mahnintervalle in Corona-Zeiten wie folgt verändert:
- Mahnstufe 1: 3 Mahnläufe pro Monat, Zahlungsaufforderung innerhalb von 7 Tagen.
- Mahnstufe 2: 3 Mahnläufe pro Monat, Zahlungsaufforderung sofort.
- Mahnstufe 3: Mahnläufe wöchentlich, Zahlungsaufforderung sofort.
Die Veränderung der Zahlungsaufforderungen bei den Mahnschreiben hat allerdings mehr einen technischen Hintergrund als einen risikobasierenden.
Die oben genannte Sofortmaßnahme haben wir im März 2020 relativ schnell entschieden. Inzwischen sind wir jedoch wieder auf unseren ursprünglichen Rhythmus umgestiegen, da die Veränderung der Mahnintervalle keine signifikanten Veränderungen gezeigt hat. Es befindet sich sehr viel Liquidität im Markt (u.a. durch staatliche Hilfspakete), das sehen wir auch anhand der Kundenzahlungen, die laufend pünktlich eingehen. Daher haben die verkürzten Intervalle auch keine Wirkung gezeigt. Alle anderen ergriffenen Maßnahmen wirken hingegen. Wir hatten 2019 unseren letzten Forderungsausfall, während Corona 2020 und 2021 keinen weiteren. Natürlich ist dies unter anderem auch dem niedrigen Insolvenzniveau geschuldet (niedrigster Stand seit 30 Jahren) und nicht ausschließlich unserer Arbeit.
Jeder Mitarbeiter erhält zudem eine Grundunterweisung des unternehmensinternen Credit- und Forderungsmanagements. Mittels verschiedenster Kommunikationskanäle haben wir gerade unsere Vertriebsmitarbeiter nochmal verstärkt bzgl. dieser Thematik sensibilisiert. Speziell im Hinblick auf Informationsgewinnung (Qualitative Informationen).
Fazit
Die befürchtete Pleitewelle ist bis dato ausgeblieben, die Insolvenzzahlen werden aber in den nächsten 1 bis 1,5 Jahren vermutlich steigen, da diese Zahlen derzeit auf einem sehr niedrigen Niveau notieren. In Österreich hatten wir dieses Niveau das letzte Mal vor 30 Jahren, ein Nachholeffekt kann daher nicht ausgeschlossen werden. Dies bedeutet zukünftig zunehmende Risiken für Unternehmen und besondere Achtsamkeit fürs Credit Management. Digitalisierung kann hier natürlich Entlastung schaffen und Unternehmen unterstützen.
BRANCHENFOKUS: PERSONALDIENSTLEISTUNG
Allgemein kann die Personaldienstleistungsbranche als Wirtschaftsbarometer gesehen werden, weil wir zukünftige Wirtschaftsentwicklungen anhand der Kundennachfrage ablesen können. Wir sind einerseits häufig die ersten, die zu Beginn einer Krise Umsatzrückgänge verzeichnen, da der Personalbedarf bei unseren Kunden schlagartig sinkt, aber andererseits auch die ersten, bei denen sich die Auftragslage bessert, wenn unsere Kunden bei vollen Auftragsbüchern wieder rasch mehr Mitarbeiter benötigen. Seit Juli 2020 können wir beobachten, dass sich zumindest partiell die Wirtschaft erholt, die Auftragslage ist derzeit ganz gut. Wenn es die Unternehmen (branchenunabhängig) schaffen, diese gute gesamtwirtschaftliche Dynamik auch in wirtschaftlichen Erfolg und ausreichend Liquidität umzuwandeln, dann sehe ich das Auslaufen verschiedenster staatlicher Hilfsprogramme nicht kritisch – zumindest für die meisten Unternehmen.
In der Personaldienstleistungsbranche spielt die Innenfinanzierungskraft (z.B. Umwandlung von Forderungen aus LuL in Cash) als Beschaffungsform für liquide Mittel eine ganz wichtige Rolle, da die Außenfinanzierungsmöglichkeiten (z.B. Lieferantenkredite) limitiert sind. Da schmerzen dann Forderungsausfälle massiv und können sogar existenzbedrohend sein (z.B. Zahlungsunfähigkeit). Als Dienstleister können wir unsere Leistungen häufig erst im Folgemonat abrechnen (oft erst wenn wir die Stundenaufzeichnungen des Vormonats vom Mitarbeiter vorliegen haben). Berücksichtigt man noch die Zahlungskondition, entstehen bereits ohne Zahlungsverzug lange Außenstandsdauern. Personaldienstleistungsunternehmen müssen daher ihre Liquidität besonders im Blick haben.
Klassisches Working Capital Management funktioniert zu einem großen Teil nicht. Die Finanzierungsmöglichkeiten über Lieferanten sind „überschaubar“, da Personaldienstleistungsunternehmen in der Regel eine niedrige Material- u. Anlagenintensität aufweisen (der Einkauf spielt daher eine untergeordnete Rolle in der Liquidität). Der betragsmäßig größte Liquiditätsabfluss sind Löhne/Gehälter und die damit verbundenen Abgaben. Demzufolge ist auch hier keine aktive Steuerung möglich, da es klare gesetzliche Bestimmungen (Fristen) zur Abwicklung gibt. Das Credit- und Forderungsmanagement nimmt in unserer Branche daher eine ganz wichtige betriebliche Funktion ein.
2021 und 2022 gehen wir von wirtschaftlichem Wachstum aus bei gleichzeitiger Zunahme von Ausfallrisiken.
Corona hat die Unternehmen innerhalb unserer Branche unterschiedlich stark betroffen. Die Auswirkungen sind stark abhängig von Kundensegmentierung (Industrie-/Gewerbebetriebe, Branche, Region,…). Diese Corona-Krise zeigt wieder, wie wichtig Kundenportfolio-Management ist (Diversifikation nach Region, Unternehmensgröße, Branche,…). Für kleinere Unternehmen, die nur wenige Kunden betreuen, ist die Möglichkeit der Diversifikation natürlich nur eingeschränkt vorhanden, ein Klumpenrisiko kann hier auch fatale Folgen haben.