Energie- und Rohstoffpreise sind das größte Konjunkturrisiko
IHK-Energieexperte Dominik Heyer hat mit uns über die Zukunft der Energieversorgung aus Unternehmenssicht gesprochen.
Herr Heyer, Robert Habeck als grüner Wirtschaftsminister hat zuletzt gesagt, dass im Falle einer Gasknappheit auch Verbraucher ihren Teil leisten müssten. Ein Indiz, dass es wirklich schlecht steht um eine Reihe von Unternehmen?
Dominik Heyer Wir haben Anfang des Jahres eine Umfrage unter Unternehmen durchgeführt. Schon zu diesem Zeitpunkt wurde die Problematik steigender Energiepreise seitens der Unternehmen beklagt. Die Situation hat sich durch den Ukraine-Krieg natürlich noch einmal verschärft. Es ist in der Tat so, dass Unternehmen aufgrund der horrenden Preissteigerungen teilweise ihre Produktion eingestellt haben, weil dies die günstigere Vorgehensweise war. Die Belastungsgrenzen sind definitiv erreicht. Die Energie- und Rohstoffpreise sind derzeit zweifellos das Konjunkturrisiko Nummer 1.
Welche Branchen sehen Sie derzeit besonders gefährdet?
Dominik Heyer Vor den größten Herausforderungen stehen energieintensive und -sensitive Unternehmen. Dazu zählen zum Beispiel die Chemie-, die Nahrungsmittel- oder die Papierindustrie und allgemein Unternehmen, die mit Prozesswärme arbeiten. Sollten sich die Gaspreise verdreifachen – wie zuletzt von der Bundesnetzagentur in den Raum gestellt – und gegebenenfalls noch die Belieferung durch Nord Stream 1 versiegen, dann wird dies zu einem echten Problem. Dann drohen im Winter, wenn sich die Speicher leeren, weitere Preissteigerungen.
In den vergangenen Jahren wurde immer wieder über sogenannte Zombieunternehmen gesprochen, die nur mit Staatshilfe überleben. Kommt jetzt die große Insolvenzwelle?
Dominik Heyer Das ist schwer zu sagen, da gleichzeitig ja auch neue unterstützende Maßnahmen von der Regierung anlaufen, zum Beispiel die am 15. Juli 2022 gestartete Energiepreisbeihilfe für Unternehmen mit sehr hohen Energiezahlungen.
Gas einzusparen beeinträchtigt dann aber doch die Produktionsvolumina in den Unternehmen. Funktioniert das mittelfristig?
Dominik Heyer Sollten wir in eine Gasmangellage kommen, ist es wichtig – das ist die Resonanz aus den Unternehmen – dass die Maßnahmen individuell umgesetzt werden. Für ein Unternehmen mag es zum Beispiel besser sein, dass Gasvolumen auf 80 Prozent zu verringern; ein anderes schaltet womöglich eine seiner zwei Anlagen komplett ab und reduziert dadurch automatisch auf 50 Prozent. Ein wieder anderes Unternehmen bevorzugt es womöglich, nur drei bis vier Tage pro Woche zu produzieren. Eine pauschale Abschaltung wäre dementsprechend kontraproduktiv.
Als IHK Mittlerer Niederrhein sind Sie für eine Region in NRW aktiv. Sind die verschiedenen Bundesländer unterschiedlich anfällig für die Energiekrise?
Dominik Heyer NRW und insbesondere auch der Mittlere Niederrhein sind als Industriestandorte traditionell stärker abhängig von der Energiesicherheit. Daher stehen wir in unserer Region in den nächsten Monaten vor einer besonders großen Herausforderung. Allerdings bedeutet ein drohender Lieferstopp aus Russland nicht, dass gar kein Gas mehr nach Deutschland fließt. Wir sehen schon heute, dass sich die Kapazitäten aus den westlichen Nachbarländern, aus den Niederlanden und Belgien deutlich erhöht haben.
Werden Sie als IHK-Vertreter in diesen Tagen verstärkt von Unternehmen angesprochen zum Thema Energiesicherheit?
Dominik Heyer Unsere Erstberatung Energieberatung ist in der Tat derzeit stark nachgefragt. Zuletzt haben wir gemeinsam mit den Stadtwerken Neuss eine Veranstaltung für die gasintensiven Unternehmen in der Region angeboten. Dies planen wir auch in den anderen Regionen unseres Kammerbezirks. Dabei geht es insbesondere um größere Unternehmen, die nach der registrierenden Leistungsmessung (RLM) abgerechnet werden, also enger getaktet. Die Resonanz war sehr gut und der Austausch zwischen Unternehmen und Stadtwerken beziehungsweise Netzbetreibern ist natürlich essenziell in diesen Tagen.
Sind Gas und Strom gleichermaßen problematisch?
Dominik Heyer Teilweise bedingen sie einander, 15 Prozent des Stroms wird zum Beispiel aus Gas erzeugt. Es hilft, dass bereits beschlossen wurde, dass bestimmte Kohlekraftwerke auch hier im Rheinischen Revier wieder aus der Bereitschaft geholt werden. Dennoch lautet natürlich unser Appell, behutsam mit dem Gas umzugehen.
Das Energiesicherungsgesetz sieht vor, dass Preissteigerungen durch die Versorger trotz bestehender Verträge weitergegeben werden dürfen. Ein Problem?
Dominik Heyer Das ist natürlich ein Thema, das in der Wirtschaft kritisch gesehen wird. Wenn Preissteigerungen auch unterjährig weitergegeben werden dürfen, ist die Liquidität der Unternehmen in Gefahr.